Interview mit Frank Rauhut und Thomas Thiele
Interviewer: 20 Jahre nach Rostock und Hoyerswerda - wie war die Situation in Königs Wusterhausen und Umgebung? Was ist konkret geschehen?
Frank Rauhut: In der Zeit habe ich mich mit Rechtsextremismus überhaupt nicht befasst. Ich habe zwar hier gewohnt, aber nach der Wende war das für mich einfach kein Thema. Ich hatte zu sehen, dass ich meine Arbeit erhalte, ich wollte ganz weg, hab dann schließlich aber doch die ehemalige Poliklinik als Praxis übernommen und war damit voll beschäftigt. Ich wollte auch den ganzen Ärger nicht, der mir sehr, sehr unter die Haut gegangen ist. 1989/90 das habe ich als Heimatverlust empfunden. Meine Stimmung war: “Macht euren Scheiß alleine.” Ich sehe das System als falsch an. Die Bundesrepublik war für mich früher schon kein Vorbild. Aus den verschiedensten Gründen von klein auf, als ich sozusagen sozialisiert wurde. Da war die Bundesrepublik noch in einem Zustand, wo, wie wir jetzt wissen, 60% der Geheimdienstleute aus der Nazizeit stammten. Ich war auch schon drei, vier Jahre vor der Wende zu Besuch bei meinem Vater in Hannover, und wäre nie auf die Idee gekommen, da zu bleiben. Das war für mich ein fremdes Land, das Heimatgefühl war hier. Nach 1989 oder 1990 fühlte ich mich fremdbestimmt. Deshalb hab ich mich kaum damit befasst und kann wenig dazu sagen, was sich tatsächlich hier abgespielt hat. Thomas war damals in einer anderen Situation, daher wollten wir das Interview auch gemeinsam machen. Ich kann mich nur an ganz wenige Dinge erinnern, weiß nicht einmal das Jahr, aber es war kurz nach der Wende, als hier drüben an dem Haus an der Wand immer stand: "Kommst du nach KW herein, muss dein Gruß 'Heil Hitler' sein." Ich weiß nicht, ob du dich daran noch erinnerst? (Frage an Thomas Thiele) So große Schrift (zeigt mit den Armen vllt einen Meter) wochenlang an einer großen, weißen Hauswand.
Thomas Thiele: Für mich ist das Datum 1990 kein entscheidendes Datum. Ich habe mich mit der Neonaziszene in KW seit 1986 beschäftig. Das heißt, wir haben '85.'86, eigentlich schon '85, die erste Generation der Neonazis in KW gehabt. Die Illusion, dass hier ein Rüberschwappen erst 1989/90 stattgefunden hat, ist völlig unsinnig. Wir haben gerade im Umkreis von Berlin und in Berlin selber eine sehr aktive Neonaziszene gehabt in den 1980er Jahren, die sich damals noch von der Punkszene abgespalten hat. Ich bin aktiver Union-Gänger gewesen damals und habe erlebt, wie sich Teile der Union-Fanszene aus der Punkrichtung in Richtung BFC Dynamo bewegt hat. Mit dem ersten großen Fanclub „Black Eagles“. Der hat sich rekrutiert größtenteils aus den Jungs, die im Umfeld Plänterwald eigentlich mal die Punkbewegung Anfang der achtziger Jahre hat hochleben lassen. Und darunter Leute, die sich damals von Union rüberbewegt haben oder auch bei Union aktiv geblieben sind. Also ich habe dieses Datum 1990 nur als fortlaufendes Datum im Kopf. Für mich hat sich also 1990 keine Zäsur aufgemacht, weil die Bundesrepublik da war, die natürlich ein paar Sachen noch begünstigt hat. Für mich war 1986 eine starke Neonaziszene da, die auffällig war, die ganz klar agiert hat in Kameradschaftsstrukturen, völkisch orientiert mit allem drum und dran auch deliktauffällig geworden ist. Seltsamerweise wurden die durch die Staatsorgane der DDR weniger in den Fokus genommen, also weniger Verfolgungsdruck, als das Punks erlebt haben oder andere Protagonisten aus politischen Szenen.
Frank Rauhut: Ich kann mich daran überhaupt nicht erinnern. Woran, wo hat man die bemerkt?
Thomas Thiele: Die hast du ganz stark bemerkt bei verschiedenen Diskotheken, Bahnhofshotels, im Schuppen. Ganz dominant sind die immer mit 35 Leuten aufgetaucht, haben dort ihre Räume besetzt, im wahrsten Sinne des Wortes. In der Boxszene waren sie aktiv. Einer war aktiv in der Boxszene, also in der Sportszene. Sie waren im Fussball-Umfeld zu finden, bei beiden Berliner Clubs, muss ich dazu sagen, bei Union als auch beim BFC. Sie waren strukturiert unterwegs. Gerade dieses Dreieck von KW nach Wildau hin. Da war einer bei mit langen blonden Haaren, dieses germanisch Urwüchsige noch, schon in den Achtzigern vertreten. „Ich bin Germane.“ Er ist mal gefragt worden: "Mensch, du musst doch als Skinhead rumrennen, wenn du Nazi bist." "Wir alten Germanen haben immer wehende blonde Haare gehabt. Guck dir Thor an auf den Bildern." Also schon dort waren sie da. Sie waren dominant in der Jugendkultur in bestimmten Sachen. Sie sind in bestimmte Räume, haben die beherrscht, Stadtfeste, Dorffeste, wo sie wirklich als Gruppe aufgetreten sind. Martialisches Aussehen, schon zu Ostzeiten mit Springerstiefeln rumgerannt. Also Dinge, wo du wirklich gesehen hast: Da kommt eine Gruppe, die offensichtlich in sich geschlossen, als Gruppe unterwegs ist und auch mit einem klaren rechten Weltbild. 1986 war für mich die Anfangszeit dessen, wo ich sie geschlossen bemerkt habe. Also auch bei uns, nicht nur in Berlin, wo ich auch tätig war, sondern hier bei uns. Ab 1990 ist für mich ein Punkt, wo sich aus einer elitären Kleingruppe eine Szene verstärkt entwickelt. Die waren dann teilweise mit 50, 60 Leuten unterwegs. Als 1990 Weltmeisterschaft war und Deutschland Weltmeister geworden ist, bin ich mit der S-Bahn nach Berlin rein. Da waren 150 Leute aus KW, die auf den Alexanderplatz gefahren sind. Da gab es an dem Tag, wo Deutschland Weltmeister wurde, eine große Auseinandersetzung mit der Polizei, wo es richtig geknallt hat auf dem Alex. Hunderte von Neonazis haben sich zusammenrotteten und sich einen Spaß mit der Polizei gemacht. Ich habe danebengestanden, völlig fassungslos. Es gab also eine Entwicklung 1989/90, die den Jungs einen Riesenzulauf gebracht hat. Das war so die erste Generation der Neonazis, strikt hierarchisch organisiert, mit allem drum und dran. Sie hatten dann auch Zulauf durch Kader. Hasselbach ist auch aufgetaucht hier in KW. Damals die erste Schmiede von jemandem, der „Thor Steinar“ später gegründet hat, der hier mit seiner Wehrsportgruppe unterwegs war. Er hat immer 15,16 Leute gesammelt, ist dann mit denen im strikten Marsch Richtung Wald gezogen, teilweise nach Halbe, hat mit denen dann Wehrsportübungen gemacht. Er hatte auch den Versuch unternommen, 1991 einen Ku-Klux-Klan zu gründen.
Interviewer: Könnt ihr darüber noch mehr erzählen, über Wehrsportgruppen und Ku-Klux-Klan?
Thomas Thiele: Die haben sich militant gekleidet, man hat sich also auch in Uniformen gekleidet und die üblichen Waldspiele gemacht. Da war dann Chefchen vorne, mit seiner SS-Mütze mit diesem Schirm vorne dran und dem typischen Sommerhut, den er gehabt hat, und dann sind die Richtung Wald. Ku-Klux-Klan war eine kurze Episode. Das schwappte rüber, als irgend so ein Typ aus den USA hier was aufziehen wollte. Er hat damals versucht, einen deutschen Ableger des KKK hier in KW zu gründen. Das waren vielleicht 25 Leute, drei brennende Kreuze am Waldesrand, und dann haben sie da ein bisschen „Huhu“ gemacht, mit Kapuze rumgerannt. Das sollte man nicht für Ernst nehmen, das wird zwar gerade in den Medien ein bisschen hochgespielt, die Episode damals, aber da war die andere Sache, die sich dann um die „United Skins“, ab 1992 entwickelt hat, bedeutend gefährlicher – finde ich persönlich. Für mich war das ja schon die zweite Generation der Faschos, die hier tätig gewesen sind, mit der klaren Struktur einer Kameradschaft. In sich abgeschottet, auch wenig Aktivität nach außen, sondern das martialische „“Wir sind die Elite“, „Wir sind die United Skins“. Sie haben ein Fanzine rausgegeben, hatten Kontakte nach Skandinavien, nach Schweden, nach Holland. In die Zeit fallen auch ein paar verwirrte Einzeltäter, zum Beispiel was im Asylbewerberheim Dolgenbrodt abgelaufen ist. Das hat ja damals gebrannt, war aber eine Sache eines einzelnen Rechtsradikalen. Er war kein Angehöriger einer organisierten Struktur, aber er war Nazi, klarer Fall. Interessant fand ich damals an dieser Sache, dass die Bevölkerung von Dolgenbrodt angeblich dafür Geld gesammelt hat laut Aussage des Täters. Dass es einen Auftrag an ihn gab. Das war keine Spontanaktion wie: „Wir ziehen jetzt mal zum Asylbewerberheim und zünden das an.“ Es war eine Sache, dass offenbar aus dem dumpfen ausländerfeindlichen Rassismus eines typischen ländlichen Dorfes in Brandenburg bei KW, die Bevölkerung wohl von Hof zu Hof geht und Geld gesammelt hat und damit jemanden gebeten hat, dieses Asylbewerberheim anzuzünden. So jedenfalls sagte es der damalige Täter. Das wäre eine völlig andere Qualität. Ich denke, Ursache war latent vorhandener völkischer Rassismus auch in diesem Ort, was in ländlichen Bereichen nicht unwesentlich ist. Dazu kommt eine nicht vorhandene Dialogbereitschaft seitens der Verwaltung damals, die also dieses Beziehen des Asylbewerberheims auch nicht sensibel vorbereitet hatte. Also ich habe einen Ort, die haben nie einen Ausländer gesehen. Das ist ja das, was im Osten auch immer sehr klar gewesen ist, man hat ja kaum mit Ausländern zu tun gehabt. Die waren ghettoisiert, die Mosambikaner, die Vietnamesen, die wurden in Heimen untergebracht, das war schon schlimm. Das heißt, der Kontakt zwischen Normalbevölkerung der DDR und ausländischer Bevölkerung ist nicht erwünscht gewesen. Wir haben ja auch einen schönen sozialistischen Nationalismus aufgemacht, muss man ja sagen. Offiziell Friede, Freundschaft, Drushba. Inoffiziell hat das ja nicht stattgefunden, was hier mit den Vertragsarbeitern passiert ist. Da kommt in so ein Dorf von ein paar hundert Einwohnern die Nachricht: „Ihr habt jetzt demnächst übrigens 180 Asylbewerber aus Bereichen, die man vorher aus dem Fernsehen kannte, so Albanien.“ Statt es vorzubereiten und den Leuten auch ein bisschen die Angst zu nehmen, hat man das so hingestellt und gesagt: „Wir machen das jetzt so.“ Da prallte praktisch auf diese dumpfe, nationalistische, rassistische Einfachwelt des Bauern in Dolgenbrodt eine neue Welt. Die Vorurteile lauteten: „Die Zigeuner, die vergewaltigen, morden, brandschatzen, unser Land heimsuchen, nehmen uns hier unsere Frauen und Kinder weg, das müssen wir verhindern, wir zünden das Ding an.“ Das passierte damals in Dolgenbrodt.
Dolgenbrodt ist von Königs Wusterhausen grob geschätzt, 18 bis 20 Kilometer entfernt. Ländlicher Bereich, ein Dorf, wie man das klassisch im Brandenburgischen findet, seit vielen hundert Jahren existent, in sich geschlossen. Ich denke, es war '92, als das vorgesehene Asylbewerberheim in Dolgenbrodt angezündet wurde. Zum Glück war es noch nicht bezogen, das ist der Unterschied zu Rostock-Lichtenhagen. Ganz seltsame Sache, was mich dann damals völlig fasziniert hat, dass die Sammelbereitschaft und der Konsens in Dolgenbrodt, dieses Ding abzufackeln, nach Aussage des Täters quer durch alle Lager ging. Da war es völlig egal, ob der Bewohner dort eben PDS-Angehöriger war oder CDU, oder ob er rechts-denkend war oder links-denkend oder sonst was. Ein Dorf war sich in sich einig, dass asylsuchende Ausländer dort keinen Platz finden sollten, und damit haben sie das Ding angezündet, beziehungsweise anzünden lassen. Da war man sich dann zu fein zu, das selber anzuzünden, hat dann einfach die Kohle gesammelt und hat jemanden dafür bezahlt. Also eine völlig neue Qualität, die dort abgelaufen ist.
Das war 1992 für mich ein Stück Zäsur gewesen, neben der Gründung oder dem Aufbau der „United Skins“ in KW, wo ich wirklich arg geschluckt habe. Da merkte ich, Dinge sind angekommen, auch bei uns, auch in unserem kleinen beschaulichen Umkreisstädtchen. Es gab dann auch noch ein paar qualitative Dinge, die dann zugenommen haben. 1991/92 wurde das Schloss Zeesen besetzt, das ist draußen ein Ort weiter. Zeesen gehört noch zu Königs Wusterhausen. Ein Gebäude, bei dem der Rechtsstatus nicht klar war. Es gab einen Altstreit aus Nazizeiten, zwischen Gründgens und Goldstein, die Nachfahren eines jüdischen Bürgers, die enteignet worden sind. Sie klagten gegen die Erbengemeinschaft Gründgens, die damals das Haus 1935 oder 36 zugeschlagen bekommen haben. Das Haus war wunderschön, ein kleines Schlösschen am Wasser, mit allem drum und dran. Da haben eben Autonome aus Berlin und Hausbesetzer aus Berlin und Potsdam das besetzt. Ich fand's cool, man kannte ja auch einen Haufen davon, kam ja selber mal so ein bisschen aus der Ecke. Man konnte dort Konzerte gestalten, da sind Bands aufgetreten, dann gab es eine Wagenburg und der Kinderzirkus kam und unten war ein Harfenbauer drin, also richtig Soziokultur vom feinsten, wie man das so aus dem Spektrum kennt. Alles ein bisschen angeschmuddelt, klar. Reinlichkeit und Hausbesetzung scheinen nicht immer konform zu gehen. Jedenfalls war da dieses Haus, ein Integrationsobjekt der Linken. Es kamen viele aus der Dortustraße in Potsdam und Mainzer Straße, Berlin, aus der Pfarrstraße Berlin, aus den Wagenburgen. Es war natürlich klares Gegnerobjekt in der militanten, organisierten Neonaziszene. Natürlich hieß es: „Autonome, Punks, Dreck, Zecken, machen sich hier breit, in unserem schönen Heimatkreis.“, und die Verbindung von den „United Skins“ nach Treptow rein zu den Kameradschaften hat ja funktioniert. Das hat immer funktioniert, bis heute. Das Haus wurde daher gern organisiert angegriffen.
Trauriger Höhepunkt war 1994, der Schusswechsel. Als Nazis wirklich aus dem Auto heraus versucht haben, einen umzufahren, einen Punk, der dort wohnte, 17 Jahre alt, und dann aus dem Auto heraus mit einer scharfen Pistole auf das Haus geschossen worden ist, in Kauf nehmend, dass diese Kugel... Wer zielt aus dem fahrenden Auto, da weisst du nicht, was du triffst. Damit in Kauf nehmend, dass Tötungen hätten passieren können. Ich war damals unterwegs, ich war nicht selber vor Ort. Ich kam da an, alle waren geschockt und haben gesagt, es ist gerade mit einer Pistole auf uns geschossen worden. Ein oder zwei einzelne Schüsse, war schon heftig. Ich erinnere mich an die Zeiten von Telefonketten, wo man dann, wenn Nazis unterwegs waren zum Schloss, die Leute schnell gerufen hat, um das zu schützen. Ich erinnere mich an Barrikaden, im wahrsten Sinne des Wortes, die aufgebaut worden sind, um das Haus zu schützen. Es gab also mehrere massive Naziangriffe, großer Gruppen, auch von Berlinern, gegen das Schloss in Zeesen. Das heißt, wir hatten das Dolgenbrodt-Problem mit dem angezündeten Asylbewerberheim und wir hatten die massiven Angriffe 1994/95/96 auf das Schloss in Zeesen. Es gab noch ein Ereignis, das ich zumindest am Rande erwähnen will in den 1990ern. Es gab einen Todesfall. Ich weiss jetzt nicht, Scharmützelsee, Wendisch-Rietz, eins von beiden, wo ein Schwarzafrikaner getötet worden ist. Es sind auch Leute dafür in den Knast gegangen. Einer von ihnen war damals Wildauer, er war zu der Zeit glaube ich 21 oder 22, ein völliger Verlierer in Schulzeiten. Der Typ ist dann irgendwann zwischen der 10. Klasse und bis er Zwanzig geworden ist, trainieren gegangen und hat sich der Neonaziszene angeschlossen. Er war in dem Moment so durchgeknallt – heute übrigens nicht mehr. Er hat seine Strafe verbüßt, er hat sich völlig losgesagt von der Szene. Aber damals war er an der Tötung beteiligt, hat dafür viele Jahre gesessen. Wenn man die chronologische Abfolge betrachtet, muss man das einfach in Betracht ziehen, auch wenn es territorial woanders passiert ist. Es war ein Neonazi aus dem Umkreis von Königs Wusterhausen dabei, der damals diese Tat begangen hat.
Interviewer: Ich würde gerne nochmal in der Zeit zurückgehen. Als du von Hoyerswerda und Rostock gehört hast, was hast du damals gedacht?
Thomas Thiele: Ich habe nicht gedacht, ich bin losgefahren, in Richtung Rostock. Als wir hörten, dass das Haus angegriffen wurde, sind wir los. Wir wollten hoch und das Haus schützen. Damals war die Zeit, wo Rostock noch mehr in der Szene verhaftet war, als es das heute ist. Hat natürlich sofort den Beschützerinstinkt und den autonomen Antifagedanken rausgeholt, dem man ja auch ein Stück weit angehangen hat. Wir sind nicht weit gekommen. Um Rostock herum war ja alles abgesperrt. Auf den Autobahnparkplätzen haben ja auch die Wannen, die Polizeifahrzeuge, gestanden.
Frank Rauhut: Du meinst die Gegendemo?
Thomas Thiele: Ja, die Gegenorganisation. Wir wollten mit der Antifa zur Gegendemo, wir kamen nur nicht weit. Vor Rostock-Laage stand die Polizei und hat geschaut. Dann sind wir runtergefahren und sind von ihnen abgefangen worden und wurden direkt zurückgeschickt. Die Polizei hat eigentlich dieses Gelände abgeschirmt, völliger Irrsinn. Sie haben die, die es schützen wollten, abgefangen, und haben die Nazis dort aber drei Tage lang machen lassen. Für mich nach wie vor völlig unverständlich, wie abgeschottet und abgesichert dort ein tobender Mob handeln konnte über Tage. Es ging ja nicht über vier Stunden, es ging ja über drei Tage. Ich glaube drei Tage war das, bis dann wirklich mal einer eingegriffen hat. Wir sind ja am zweiten Tag los. Und die haben uns abgefangen, statt dieses Pack dort vor dem Haus wegzutreiben oder die Asylbewerber zu schützen, haben die uns abgefangen, haben unsere Rostocker Freunde damals festgenommen, in Sporthallen, die dafür vorbereitet gewesen sind, dass dort eine größere Masse von Menschen über 24 Stunden festgehalten wird. Ja, absolut irrsinnig. Das war für mich wirklich eine Zäsur, wie es sein kann, dass Ressourcen von inneren Sicherheitskräften dagewesen sind, um das zu unterbinden, aber die dafür eingesetzt worden sind die Gegendemonstranten abzuhalten.
Frank Rauhut: Ich war bei der Gegendemo, die organisiert und erlaubt war, die dann zehn Tage später bereits stattfand. Da war das genau das gleiche. Die haben uns vor Rostock gestoppt auf der Autobahn, zufällig kamen Gregor Gysi und Hans Modrow, die sind nach vorne, haben verhandelt, dann hat man uns durchgelassen. Dann kamen wir um 14 Uhr am Sonnenblumenhaus an. Aber es ging nicht los, obwohl 14 Uhr eigentlich begonnen werden sollte. Dann sagte der Sprecher über den Lautsprecher: „Wir stehen vor einem Problem, wir haben diese Demonstration heute so angemeldet, dass der Abschluss vor Eintritt der Dunkelheit stattfinden kann, damit es nicht zu irgendwelchen Ausschreitungen kommt. Aber der Konvoi aus Hamburg-Lübeck wird vor Rostock festgehalten. Und wir stehen jetzt vor der Frage, fangen wir an, damit wir vor dem Dunkeln Schluss machen können, oder warten wir aus Solidarität, bis die hier sind? Wir bitten also aus den einzelnen Bereichen Leute zu uns an den Punkt, wir müssen über diese Frage beraten.“ Also so eine absolute Sauerei, die Organisatoren organisieren das so, dass es keinen Krawall gibt, so dass sie im Hellen Schluss machen können. Und die Polizei hält sie fest. Wie bei uns, die haben uns ja nur gestoppt, die haben ja nicht etwa nach Waffen oder nach irgendwas gesucht, also keine Personalien festgestellt, die haben nicht gesagt: „Machen Sie mal den Kofferraum auf.“ Nur einfach gestoppt. Und die anderen, aus Hamburg-Lübeck, mussten nun so lange warten, bis die Polizei sie durchgelassen hat. Sodass das Ganze dann ins Dunkle reinkam, aber trotzdem friedlich blieb. Gott sei Dank. Die Rostocker dort oben, da sage ich auch mal Ghetto. Alle Fenster zu. Keine Sau hat sich dafür interessiert. Das war schlimm damals. Jedes Jahr bin ich in Warnemünde, jedes Mal fahre ich am Haus vorbei, jedes Mal denke ich an dieses Ereignis.
Interviewer: Habt ihr solche Sachen wie Rostock oder Hoyerswerda auch aus anderen Städten, zum Beispiel aus Brandenburg gehört?
Thomas Thiele: Nicht in der Größe. Es gab immer wieder Übergriffe, bis hin zu Brandsätzen gegen linke Jugendclubs. Da gab es ja viele, Angermünde und viele andere, auch wir haben ja zwei Brandanschläge erlebt bei uns. Ich kenne das gegen besetzte Häuser, ich kenne das gegen bestimmte Szenen, aber Asylbewerberheime, sind nur diese typischen Namen, die du erwähnt hast, plus Mölln, plus Lübeck, wo ja auch ähnliche Dinge passiert sind.
Frank Rauhut: Ich war Anfang 1990 fassungslos. Da war im damaligen SED-Kreisleitungsgebäude, hier das rote Haus, was jetzt Teil der Stadtverwaltung ist, eine Veranstaltung unten im großen Saal. Ich weiß nicht mehr worum es da ging. Oben in einem Versammlungsraum waren Nazis und ich kam da rein zufällig vorbei. Irgendjemand kannte mich, ich war ja zu der Zeit noch ganz aktiv, bis Anfang 1990, und sagte zu mir: „Du geh mal mit hoch, da oben sitzt eine ganze Masse Nazis aus Berlin und will mit uns diskutieren und keiner hat so Recht Bock.“ Ich sage: „Na gut, ich geh mal mit hoch.“ Ich war eine Woche fix und alle. Das was ich dort gehört hatte an Verherrlichung des NS-Regimes, an Beschimpfung von Ausländern, das alles, was die rechte Szene ausmacht, habe ich dort gehört. Das war so massiv von etwa zwanzig Leuten aus Westberlin, dass ich also völlig unfähig war, zu argumentieren, weil mir war das vollkommen neu war, dass man so eine Auffassung haben konnte. Zwei anderen, die man auch hochgeschickt hatte, den ging es genauso.
Interviewer: War das ein gezielter Besuch?
Frank Rauhut: Ja, das war organisiert und Ziel war, zu der Veranstaltung zu kommen. Eigentlich wollten sie in den großen Saal, wollten da mitdebattieren. Man hat die dann zu einem Extragespräch in einen anderen, etwas kleineren Versammlungsraum oben gebeten. Der Einzige, der fähig war mit denen zu reden, war ein Wessi aus Kreuzberg, der diese Szene und deren Argumente kannte. Leute die hier wohnten, ich und noch zwei andere, wir waren völlig fassungslos. Wir haben also wirklich nur so dagesessen, mit Holocaust-Leugnungen und alles was man so Schlimmes von denen kennt.
Thomas Thiele: Da hat ein Konzert stattgefunden mit mehreren Bands, war Stadtjugendring-Geburtstag, 1994 oder 1995. Vier Jahre SJR war es gewesen oder fünf Jahre SJR. Die zweite Band wollte gerade anfangen, es waren auch ein Haufen SHARP-Skins drin. Die Tür ging auf, ein ganzer Mob von „United Skins“, den so genannten US-Boys, als auch von Kameradschaften aus Wildau kam rein und stand da. Da war auch Besuch da von Punks aus Zeesen. Nach zehn Minuten hat es geknallt. Da wollte noch einer dazwischengehen von der Katholischen Jugend. Die waren dagewesen aus unseren Mitgliedsverbänden. Da hat es dann noch kurz gescheppert, und der ist dann so schwer verletzt worden, dass er Abends ins Krankenhaus musste und im Endeffekt eine Niere verloren hat bei der ganzen Sache. Das war ganz bitter, das war das einschneidendste Erlebnis, was ich selber bei uns vor Ort hatte. Obwohl es regelmäßig Auseinandersetzungen und auch Überfälle gab. Bestimmt 15 oder 20 Mal in den letzten 20 Jahren, vornehmlich mit Betonung auf die 90er und Anfang 2000er, hatten wir Besuch durch Gruppierungen aus dem rechtsextremen Umfeld, und es gab körperliche Auseinandersetzungen mit Nazis. Der Club des Stadtjugendringes war immer als linker Club bekannt. Hat auch mit den Besuchern zu tun, mit denen wir gerne arbeiten. Wir waren Angriffsobjekt, wir waren Hassobjekt der Nazis.
Frank Rauhut: Die kamen nachts an und haben Radau gemacht... „Zecken, Heil Hitler.“ Einer, der mit erhobenem Arm da stand, sitzt heute in der Stadtverordnetenversammlung.
Thomas Thiele: Wir waren Gegnerobjekt, wir sind Hassobjekt für Nazis, und das wird auch so bleiben, dafür sorgen wir ja auch selber. Bei Dorffesten habe ich das auch öfter erlebt, in Zeesen, in Körbiskrug, in Pätz. Überall dort, wo alternativ aussehende Jugendliche ihre Domizile hatten, Zeesen, JAZZ - „Jugendalternatives Zentrum Zeesen“, in der Nähe vom Schloss, wurde öfter heimgesucht. Das war ein selbstverwaltetes Jugendzentrum. Sie haben dort Diskotheken und Parties gemacht und haben tagsüber offen gehalten. Sie wurden zwei Mal von Faschos überfallen, eines Tages hat es gebrannt, bis auf die Grundmauern nieder.
Interviewer: Gab es mit Blick nach Rostock auch in KW Szenen, wo sich ein Bürgermob versammelt hat?
Thomas Thiele: Habe ich, zum Glück, und da bin ich sehr froh drüber, nie erlebt.
Frank Rauhut: Ich war damals nicht aktiv, aber ich habe das nicht verstanden, dass dieser Spruch da ewig lange an der Wand stand. Ich habe mich jedes Mal geärgert und gedacht, es muss doch jemand von den Verantwortlichen jetzt mal einen Pinselmensch dahin schicken und das übermalen.
Thomas Thiele: Also vom 1.12.89 bis Ende 1990 war das hier ein komplett rechtloser Zustand. Ich kann es nicht anders sagen. Ein Beispiel dafür, was mit dem Kontext nichts zu tun hat: Ich habe am 21. April 1990 auf der Festwiese Königs Wusterhausen mit über 30 Bands ein Konzert organisiert. Hardcore und Grindkonzert, mit Bands aus England, aus USA und sonstwas. Also unheimlich groß, die Bühne noch über Babylon damals gekriegt, ein riesengroßes Konzert, ich habe da mehrere Tausend Besucher gehabt. Vor 90.000 DDR Mark habe ich geschlafen, damit niemand reinkommt und das Geld wegnimmt. Keine Polizei, kein Staat.
Frank Rauhut: Eine herrliche Zeit. Das war die herrlichste Zeit...
Thomas Thiele: Der eine vom Referat des Kreistages hat gemeint: „Ihr müsst übrigens an den Kulturbeitrag denken.“ Ich meinte zu ihm: „Was willste von mir? Lauf mal ab, hier sind demnächst Wahlen, guck mal, dass dein Stuhl noch warm ist.“, und ich habe aufgelegt.
Frank Rauhut: ...als unsere Sicherheits- und Staatsorgane sich nicht mehr kompetent fühlten, bis nach dem Oktober, 3. Oktober, als die sich wieder zuständig fühlten und deren Gesetze galten. Dazwischen war ein Raum von Freiheit, der war einfach unbegreiflich. Du konntest drucken was du wolltest …
Thomas Thiele: Du konntest machen, was du wolltest. Wir waren ungefähr 4.000 Leute in dieser Stadt. Kam eine Horde Nazis vorbei und wollten mal ein bisschen Präsenz zeigen – ich glaube 40 Leute. Hat der eine gebrüllt: „Draußen sind Nazis.“ Da sind hier von den Metallern 200 Leute auf die Leute raufgestürmt, so schnell hast du die Nazis nicht mal rennen sehen, die wussten gar nicht wo sie hin sollten. Die haben sich die Latten geschnappt hier vom Zaun und haben die Nazis durch die Stadt gejagt. Fand ich ja gut, fand ich richtig okay. Ich wollte bloss sagen: Es gab bis Ende '90 keinerlei rechtliche Kompetenzen... Und weil es keine gab, haben aber andere das auch genutzt. Hier hat keiner mehr entschieden, hier hat kein Ordnungsamtsleiter mehr entschieden, hier hat kein richtiger Bürgermeister mehr entschieden. Die einen waren schon neu gewählt, durch den 6. Mai, aber die Beamten die dort saßen, waren noch aus dem alten Apparat und wussten: „Wir sind hier sowieso nicht mehr lange.“ Das ist eine Sache gewesen, die einfach... daher ist sowas erklärbar, dass so ein Spruch über Tage und Wochen dran gewesen ist.
Interviewer: Wie war denn in der Zeit, Anfang der 1990 Jahre, die Reaktion auf die von euch beschriebenen unglaublich brutalen Nazi-Übergriffe? Wie hat denn da die Stadt drauf reagiert? Gab es da sowas wie eine kommunale Reaktion? Wie hat die Polizei darauf reagiert, also all diese Institutionen?
Thomas Thiele: Am Anfang der 1990ern gab es keine Reaktion.
Interviewer: Wie war das in Dolgenbrodt? Dolgenbrodt ist ja nicht weit von KW entfernt. KW ist die nächst größere Stadt. Gab es da Reaktionen auf die Sache, die in Dolgenbrodt ja schnell rausgekommen ist?
Thomas Thiele: Ich weiß, dass der Landkreis am Rande reagierte. Aber in meiner Erinnerung gab es keine konzertierte Aktion oder eine klare Erklärung. Es wurde dann alles auf den Täter mit Jugendhilfe oder mit Bewährungshilfe abgewälzt und auch Betreuungshilfe. Das war 1992. Das war so eine Zeit, wo jeder mit seinem Scheiß zu tun hatte. Die Arbeitslosigkeit war sonstwo. Wenn du irgendwen angequatscht hast: „Haste schon von Dolgenbrodt gehört?“-„Lass mich doch in Ruhe, muss zusehen, dass mein Taxi noch irgendwie fährt.“ Es war einfach eine Zeit, die so viel Überreizung hatte, dass du einfach nur im Kopf hattest: „Was passiert denn gerade?“ Die ganze Gesellschaft war im Umbruch. Alle Jugendclubs wurden dicht gemacht. Frau Stadtverordnetenvorsteherin plus Sozialauschussvorstand hat erstmal den Jugendclub abreißen lassen, „Kaktusbox“, weil der war ihr zu nahe an ihrem Wohnhaus dran gewesen. Du hast erstmal den Kopf voll: „Was machst du hier denn überhaupt?“ Und dann noch über so eine Stadtgrenze weiterdenken war schon schwierig. Und dann noch aus der Landkreisgrenze weiter, kannst du vergessen.
Frank Rauhut: Bei der Kreisdelegiertenkonferenz habe ich mich als erstes gemeldet: „Zur Geschäftsordnung ich würde vorschlagen, dass einer am Radio sitzt und die Nachrichten verfolgt, damit wir hier drin nicht über Dinge diskutieren, die längst schon erledigt sind“, so schnell war die Zeit.
Thomas Thiele: Also nur, damit du weißt, warum das hier so abgelaufen ist. Das kannst du mit heute nicht vergleichen. Es war 1990 eine andere Zeit bis 1992. Nachrichten verbreiteten sich viel langsamer. Heute hast du Internet, auf dem Smartphone hast du schon: „Ey gerade brennt ein Asylbewerberheim.“
Frank Rauhut: Du wusstest auch gar nicht, an wen du dich wenden solltest, weil alles anders war. Das ist das, was die Wessis nicht kapieren, welchen Umschwung das für uns gebracht hat, also nicht nur was den Arbeitsplatz betrifft.Wir waren mit allem überfordert. Weisst du, du willst ein paar Knöpfe kaufen und weisst gar nicht, ob es das Geschäft noch gibt. Mit den simpelsten Sachen, ging das los. Da war jeder mit sich beschäftigt, es gab keine Organisation, wo man da hätte sowas machen können.
Interviewer: Also ich verstehe, dass durch diese ganze Überführung, die vielen Sachen, die passiert sind, und dass die vielen Umbrüche, die Gewohnheiten weggefallen sind...
Frank Rauhut: In den 90er Jahren haben die Nazis ein leeres Feld vorgefunden, das sie bewirtschaften konnten, ohne mit Widerstand rechnen zu müssen.
Thomas Thiele: Man hat es anders wahrgenommen, anders zur Kenntnis genommen. Also heute wären verschiedene Sachen nicht mehr möglich. Sowohl im positiven, als auch negativen Sinne. Die Leute würden anders reagieren. Du hast vorhin gefragt, ob es hier in KW je einen Mob gab. Hier bewegt sich keiner. Weder um einen Pogrom-Mob zusammen zu stellen, noch in die andere Richtung. Die Normalbevölkerung in Königs Wusterhausen hat ihren Arsch noch nie gehoben. Tut mir Leid, ich muss es so sagen.
Interviewer: Erinnert ihr euch vielleicht bei dem Dolgenbrodt-Fall, wie die Leute aus dem Ort darauf reagiert haben, nachdem es rauskam?
Thomas Thiele: Wie sollen sie denn darauf reagiert haben?
Frank Rauhut: Die haben es doch organisiert!
Interviewer: Haben die das offen zugegeben?
Frank Rauhut: Nein, sie haben das abgestritten.
Thomas Thiele: Im Zuge der Ermittlungen und der Aussage von dem Täter wurde das deutlich.
Frank Rauhut: Die haben es ja heute noch abgestritten, bei dieser Sendung neulich. Da wurde die Bürgermeisterin befragt, und andere haben das auch noch abgestritten.
Thomas Thiele: Es ist schon vorstellbar, dass das Dorf gesammelt hat. Der Täter war eine blöde, arme Sau, der nie 2,50 Euro in der Tasche hatte. Er hat auf einmal ‚n Haufen Kohle gehabt. Der konnte nicht mal tanken fahren...
Frank Rauhut: Aber es gab auch in der Umgebung keinen Aufschrei. Lichtenhagen hat die ganze Bundesrepublik in Aufregung versetzt, und Dolgenbrodt hat nicht mal den Ort, geschweige denn die Nachbarorte oder KW erreicht, ging einfach durch. Das ist eine merkwürdige Situation hier in der KW. Es kann passieren was will, die Leute bewegen sich nicht.
Thomas Thiele: In KW selbst gab es keine Reaktion auf die Dolgenbrodt-Geschichte. Königs Wusterhausen an sich hat mit Dolgenbrodt genauso viel oder genauso wenig zu tun gehabt, wie mit Rostock-Lichtenhagen, Lübeck, Mölln, Hoyerswerda. Dolgenbrodt ist nicht KW. Weit weg, 18 Kilometer sind hier schon unwahrscheinlich weit. Man hatte seine eigenen Sorgen. Das hat nicht stattgefunden. Das hat nichts damit zu tun, dass KW nicht als Zivilgesellschaft ab und zu reagiert hat.
Interviewer: Wenn es solche Angriffe gab, was hat die Polizei unternommen? Hat die reagiert?
Thomas Thiele: Wir haben eine relativ kompetente Polizei vor Ort, das muss ich wirklich sagen. Das hat immer damit zu tun, dass die Schutzbereichsleiter, die hier tätig waren, immer ein relativ klares Feindbild hatten. Die waren immer relativ hinterher gewesen, die mochten keine Nazis. Das heißt, wir haben eine Polizei hier vor Ort, die lieber immer mehr rein geht, als abzuwarten. Es gibt eine relativ gute Sicherheitspartnerschaft.
Interviewer: Gab es Anfang der 90er in KW in der Stadt oder der ganz nahen Umgebung ein Asylbewerberheim oder Spätaussiedlerwohnungen?
Thomas Thiele: Es gab kein Heim, was vorgehalten werden muss, laut Asylverfahrensgesetz. Es gibt aber eine überdurchschnittlich hohe Anzahl von Spätaussiedlern in Neubaugebieten in Königs Wusterhausen. Das hatte eine Zeit lang damit zu tun, dass die Stadt bemüht war, aus fiskalischen Gründen - eben Wohnungsleerstand - mit so viel wie möglich Spätaussiedlern aus dem russischen oder ehemaligen GUS-Bereich vollzumachen. Also es gibt eine jüdische Gemeinde da hinten, es gibt viele. Die sind damals '90 angekommen, als Kinder noch. Was mich maßlos ärgert, und wir mahnen das seit Jahren an im Jugendauschuss: Es gibt keine Integration dieser Gemeinde. Es gibt nicht wirklich den Versuch, die Sache zu öffnen und die beiden Kulturen miteinander vertraut zu machen.
Interviewer: Wenn ihr auf die Zeit zurückblickt, was bleibt für euch als Schlusswort stehen?
Thomas Thiele: Da Dinge immer im Fluss sind und man mit noch gar nichts abschließen kann, fällt mir auch kein Schlusswort oder kein Betrachtungswort ein. Man muss den Zeitkontext sehen, im Zeitstrahl von '86 bis 2012 sehen, man muss die Entwicklung der Szene sehen, man muss das sehen, was gerade jetzt auch möglich ist und was passiert.