Interview mit Jone Munjunga
Interviewerin: Amadeu Antonio starb am 6.12.1990 an den folgenden eines Angriffs von Neonazis. An was erinnerst du dich? Was hast du gedacht, als der Mord passierte?
Jone Munjunga: Ich hatte damals ein schlechtes Gefühl, und es war eine schlechte Stimmung. Amadeu Antonio war ein Kollege von mir, und wir waren wir Brüder. Wir sind als Vertragsarbeiter nach Eberswalde gekommen. Da wir in Deutschland keine Familie hatten, waren diejenigen, die auch als Vertragsarbeiter gekommen sind, wie eine Familie. In dem Moment, wo einer aus meiner Familie einfach so ermordet wird, war das für uns eine der schlechtesten Situationen, in denen wir uns befinden konnten. Für uns schien es, dass das einfach so geschehen ist. Wir konnten das nicht rückgängig machen. Also haben wir alles gemacht, um unser Leben zu schützen und haben alles getan, um am Leben zu bleiben. Wir waren noch 20 Leute, die nach der Rückschickung der Vertragsarbeiter in Eberswalde geblieben sind. Wir haben uns getroffen und beraten, was wir nach dem Mord machen sollten. In Berlin-Kreuzberg gab es die „Antirassistische Initiative“. Denen bin ich bis heute dankbar, dass sie uns unterstützt haben. Ich bin mir nicht sicher, ob nicht ohne sie noch mehr von uns ermordet worden wären. Die damalige Situation habe ich bis heute nicht vergessen! Wir hatten Angst, auf die Strasse zu gehen, auch wenn wir uns in einer Gruppe bewegten. Ein gutes Beispiel für die Zeit damals, ist die Frage nach dem Einkaufen gehen. Wir waren unsicher, ob wir lebendig wieder nach Hause kämen. Wir haben gekämpft, viel gemacht und mit der Unterstützung von anderen Gruppen entschieden wir, in Eberswalde zu bleiben. Wir sind über einen Vertrag zwischen der DDR und Angola als Arbeiter nach Eberswalde gekommen. Nach dem Auslaufen der Verträge 1989 wollten wir zwar einerseits zurück nach Angola. Auf der anderen Seite hatten wir Freunde gefunden, Freundinnen oder Frauen gehabt und wollten andererseits bleiben. Und das ist ja kein Grund, jemanden zu diskriminieren, oder ihn nicht mehr auf der Straße sehen zu wollen oder gleich zu töten. Wir wussten, dass die Gefahr bestand, dass sie uns töten. Wir dachten, dass dann alle sehen, dass in Eberswalde oder Deutschland Vertragsarbeiter getötet werden. Wir haben mit der Hilfe von Leuten aus Eberswalde unseren Verein gegründet. Der ist nicht nur für Afrikaner oder Vertragsarbeiter, sondern für alle, die tolerant sind. Wir dachten, dass wir ja nicht ewig jung bleiben. Wir sind hierher gekommen und werden vielleicht auch hier alt und sterben. Eine neue Generation junger Leute weiss nicht mehr, warum wir hier sind und kennt unsere Geschichte nicht. Wir möchten mit unserem Verein das Wissen über die Vertragsarbeiter weitergeben und Informationen zur Verfügung stellen.
Interviewerin: Wann bist du in die DDR gekommen?
Jone Munjunga: Ich bin am 18.8.1987 gekommen.
Interviewerin: Gab es einen Unterschied vor und nach dem Mauerfall? Wie sah der Alltag in Eberswalde aus, auch nach dem Mord?
Jone Munjunga: Der wesentliche Unterschied war, dass die Politik der DDR die Ausländer geschützt hat. Es gab Rassismus. Im Betrieb haben wir zusammen gearbeitet und sobald Feierabend war, haben uns die Kollegen nicht mehr gekannt. Die Vertragsarbeiter waren alle in ihren Heimen untergebracht, und diese Heime waren zwischen Eberswalde und Eberswalde-Finow isoliert. Wir hatten wirklich keinen guten Kontakt mit den Deutschen, aber man konnte auf die Straße gehen und wurde nicht beschimpft. Gleichzeitig waren wir isoliert, und so hat man den Rassismus nicht weiter gesehen. Nach dem Mauerfall kam Bewegung in den Betrieb. Zuerst hieß es, dass wir bleiben können. Eine große Gruppe ist nach Angola zurückgegangen, und wir, die geblieben sind, haben dann im Betrieb Probleme bekommen. Wir wurden gefragt, warum wir nicht auch zurückgehen. Auf der Straße haben mich die sechsjährigen Kinder genauso wie die Alten nur als „Affe“ und „Bimbo“ bezeichnet. „Neger“ kam später dazu. Vor dem Mord konnten wir nur zu viert oder fünft auf die Strasse gehen. Das war schrecklich. Wir hatten zu dieser Zeit keinen Schutz und nur wenig Unterstützung. Ein paar junge Leute kamen zu uns ins Heim, um uns zu warnen und Bescheid zu geben, dass wir aufpassen sollten. Sie informierten uns auch, wenn unser Wohnheim angegriffen werden sollte. Wir sind dann zu Freunden oder unseren Freundinnen gegangen und haben uns versteckt. In der Zeit nach dem Mauerfall bedeutete es für uns Selbstmord, alleine auf die Straße zu gehen oder alleine Bus zu fahren. Mit den schlechten Worten, die man immerzu hörte, musste man leben.
Interviewerin: Waren im Betrieb noch die gleichen Kollegen und Kolleginnen?
Jone Munjunga: Ja. Ich war in der Vorbereitung zur Herstellung von Wurst. Ich habe mit vielen Frauen gearbeitet. Die Männer waren an der Maschine und die Frauen in der Vorbereitung. In dieser Zeit sind immer ein bis zwei Personen pro Schicht in den Westen abgehauen. Unser Brigadeleiter und Meister hat in dieser Zeit zu uns gesagt, dass wir doch junge Leute sind und es gut wäre, wenn wir bleiben. Also dachte ich mir: „Gut, ich bleibe und fahre nach Angola zu Besuch.“ Doch auf einmal wehte der Wind aus einer anderen Richtung. Die Kolleginnen fragten, warum ich geblieben bin, wo doch alle anderen zurück gegangen sind. Der Brigadeleiter hat sich dann um seine eigene Familie gekümmert. Ich selbst konnte den anderen Vertragsarbeitern nicht mehr hinterherfahren und auch zurück gehen. Die anderen hatten eine Abfindung von 3000 DM bekommen und damit ihre Rückfahrt bezahlt. Ich hatte das natürlich nicht bekommen, und wir hatten nicht die Mittel, um den Container zu bezahlen. In dieser Situation jeden Tag in den Betrieb zu gehen, war hart. Gleichzeitig sind immer mehr Leute in den Westen gegangen. Wir sind geblieben und haben für den Betrieb weiter gearbeitet. Dennoch habe ich dann beschlossen zu kündigen, da ich gar keinen Kontakt mehr hatte, zu niemandem. Das war im August 1990. Amadeu Antonio sah ich fast jeden Tag, da er in der Verpackung arbeitete.
Interviewerin: Die von dir erwähnten Jugendlichen: Inwieweit haben die euch unterstützt oder was habt ihr mit denen zusammen gemacht?
Jone Munjunga: Wir hatten eine Fussballmannschaft und eine Band und haben uns am Wochenende im Wohnheim getroffen, um Musik zusammen zu machen oder Fußball zu spielen. Die Jugendlichen unter 15 Jahre haben uns besucht, aber sie durften nicht ins Heim rein. Die Älteren, die über 15 und 16-Jährigen, waren diejenigen, die uns gewarnt haben. Auch vor dem Mord an Amadeu Antonio wussten wir schon, dass die Situation für uns sehr schlecht ist. Es gab neben uns auch viele Mosambiquaner in Eberswalde. An dem Tag wollten sie eine Abschiedsfeier für einen von ihnen geben. Ihr Wohnheim war schlechter als unseres, also wurde die Feier im Treffpunkt „Hüttengasthof“ organisiert, und wir waren eingeladen. Ich war leider nicht mit, weil ich nicht so gerne feiere oder zur Disko gehe. Und wir haben nicht gedacht, dass sowas an dem Tag passieren würde. Es war schon so, dass wir immer überlegten, ob wir wohl gesund irgendwo ankommen oder wieder zurück kommen. Es gab oft kleinere Vorfälle in Bussen oder auf der Strasse, aber nicht mit großen Verletzungen. Mit dem Mord hat wirklich niemand gerechnet, weder die Mosambiquaner, noch die Kubaner oder Amadeu.
Interviewerin: Was hat sich nach dem Mord geändert? Wie habt ihr auf den Mord reagiert?
Jone Munjunga: Nichts hat sich geändert. Es war sehr schwierig, den toten Kollegen nach Angola zu überführen. Im Nachhinein habe ich gehört, dass die Stadt damals mit Leuten gesprochen hat. Aber mit uns haben sie nicht geredet. Ich und zwei Kollegen sind nach Kreuzberg zur „Antirassistischen Initiative“ gefahren und haben uns Rat geholt. Oft kamen die Frauen der Initiative zu uns. Auch Kollegen aus England unterstützten und schützten uns. Als bekannt war, dass Amadeu wegen seiner Hautfarbe getötet wurde, kamen öfter Leute zu uns ins Wohnheim, um uns zu schützen. Mit denen sind wir dann zusammen auf die Straße und zum Einkaufen gegangen. Sie haben auch eine Demo gegen die Skinheads organisiert. Das waren damals keine Nazis, das waren Skinheads. Durch diese Unterstützung aus Berlin haben die Leute mehr Respekt vor uns bekommen. Damit hat sich die Situation verändert, was an den Beschimpfungen zu merken war. Das bedeutete aber nicht, dass wir keine Angst mehr hatten, denn es war insgesamt eine sehr, sehr schlechte Zeit. Unseren Verein haben wir 1994 gegründet, und erst dann hatten wir auch einen Treffpunkt. Wir konnten uns vorher nur bei Freunden und Bekannten treffen. In dieser Zeit hatten wir Angst, und wir hatten Probleme mit den Deutschen. Die Polizei hat damals viel gemacht, aber immer noch zu wenig. Die Leuten aus Berlin waren die wesentliche Unterstützung für uns.
Interviewerin: Könntest du noch einmal genauer von der Zeit vor dem Mord berichten und wie sich der Alltag gestaltet hat? Was hat die Polizei gemacht?
Jone Munjunga: Jugendliche haben uns oft als „Bimbo“, „Affe“ oder „Neger“ beschimpft. Wir haben das nicht einfach weggesteckt, sondern haben reagiert und sie angesprochen. Wir haben ihnen gesagt, dass wir das nicht sind, und versucht, Verständnis zu wecken. Wir waren damals junge Männer. Ich kam mit 22 Jahren nach Deutschland und war fit. Wir haben mit den Leuten geredet, es kam auch zu Schlägereien, bei denen es aber keine großen Verletzungen gab. Ich hatte kein gutes Leben mehr und konnte so auch nicht mehr leben. Ich war wütend. Es hat mich kaputt gemacht: Wenn ständig jemand kommt und sagt: „Du Neger!“ und „Was machst du hier und warum gehst du nicht nach Hause?" Ich habe gesagt, dass ich kein Neger bin und mir das nicht gefallen lasse, so beschimpft zu werden. Die Polizei hat uns auch gefragt, warum wir nicht nach Hause zurückgegangen sind, denn das wäre doch besser für uns und viel schöner, wenn wir alle in Angola wären. Die waren keine Unterstützung, sondern redeten das gleiche. Ich habe das selber oft genug erlebt, dass es keinen guten Schutz von der Polizei gab. Ich war aufgeschmissen. Ich wusste nicht, mit wem ich sprechen kann, wenn sie mir überall, wo ich hinkomme, sagen, dass es besser wäre, wenn ich in meine Heimat gehe. Ich hatte kein Geld, um nach Angola zurückzugehen. Die Leute haben uns aber auch nicht gesagt, was da kommen wird. Hätten wir geahnt, was dann passiert ist, wären wir alle nicht in Eberswalde geblieben.
Interviewerin: Was hast du gefühlt, als der Mord passiert ist?
Jone Munjunga: Ich hatte schon vorher Angst. Als ich von dem Mord hörte und erfuhr, dass es eine Jagd von vielen Jugendlichen auf Amadeu war, war das dann aber nicht mehr vergleichbar mit der Angst vorher. Es ging uns allen so. Aber wir dachten, dass wir ja dennoch Teil dieser Welt sind – soll als passieren, was passieren soll. Ich hatte eine Freundin und distanzierte mich von ihr, um ihr keine Probleme zu machen. Ich dachte, ich kämpfe um mein Leben, und sie muss ihr Leben leben. Ich konnte mit ihr nicht auf die Straße gehen. Einer von uns beiden musste zuerst gehen und der andere hinterher, sodass der Eindruck entstand, dass wir uns nicht kennen würden. Das war schlimm. Aber noch schlimmer war, wenn wir nebeneinander gelaufen sind, das war eine Katastrophe. Egal wer, alle haben uns beschimpft, und am Ende hat sie geweint. Mich hat das sehr aggressiv gemacht, aber ich konnte nichts machen. Gegen so viele Leute kann man nichts machen. Das wäre auch in meiner Heimat so. Das war auch bei Amadeu so. Das waren so viele Leute, das hat er nicht geschafft. Die „Antirassistische Initiative“ in Berlin hat für uns Unterstützung organisiert. Das waren junge und alte, türkische, arabische, afrikanische und deutsche Menschen, die zu uns kamen. Wir haben eine Demo vom Wohnheim zur Stadtmitte gemacht. Die Eberswalder Leute waren sauer: Woher diese Leute nun wieder kommen. Aber die Leute von der Demo und diejenigen, die uns aus Kreuzberg unterstützten, hatten dafür keine Toleranz. Das hat uns geholfen. Sie haben dafür gesorgt, dass die Schwarzen, die geblieben sind, nicht alleine waren und Unterstützung bekamen. Wenn sie da waren, ist der Rassismus in der Stadt Eberswalde und von den Jugendlichen etwas zurück gegangen, und es war ruhiger geworden. Aber die Leute sind ja nicht in Eberswalde geblieben. Wenn sie weg waren, mussten wir uns verstecken, bis sie wieder kamen. Später sind einige im Wohnheim geblieben. Wir hatten vereinbart, dass wir Bescheid geben, wenn etwas passiert, sodass viele Leute zur Unterstützung aus Berlin kommen können. Es gab zu dieser Zeit aber keine Handys. Dennoch haben wir von da an ruhiger geschlafen. Die Leute sahen, dass wir Unterstützung hatten und wir viele waren, und dadurch gab es weniger Attacken von Eberswalder Jugendlichen und auch von anderen. Wir mussten genauso aufpassen wie vor der Unterstützung aus Berlin, wenn wie wieder alleine waren.
Interviewerin: Was gab es denn über die Demonstrationen und der Unterstützung hinaus, was stetiger war?
Jone Munjunga: Eberswalde ist ja eine kleine Stadt, und die Leute informieren sich gegenseitig. Außer uns. Wenn die also gesehen haben, dass Westautos bei uns standen, dann wussten die Leute, dass unsere Unterstützung da waren. Die Leute aus Berlin haben sich auch nicht versteckt. Sie haben bei uns auch nachts auf der Treppe gesessen, Licht angemacht. Das war also keine geheime oder versteckte Sache, und die Leute in Eberswalde haben nichts mehr gemacht. Die Mosambiquaner aus dem anderen Block sind zu uns gekommen, weil die auch Angst hatten. Nur die vietnamesischen Kollegen kamen nicht. Mit denen hatten wir aber nie Kontakt. Zu den Russen und Kubanern schon, auch zu DDR-Zeiten. In unserem Wohnheim haben sich alle gesammelt, da es bei uns die Unterstützung aus Berlin gab, und damit waren die anderen auch sicher. Die vietnamesischen Kollegen waren isoliert und haben es überhaupt nicht gut gehabt.
Interviewerin: Hattet ihr irgendeine Unterstützung in Eberswalde? Gab es in der Bevölkerung Leute, die solidarisch mit euch waren?
Jone Munjunga: Ja. Es gab ja nicht bloß böse Leute. Wir hatten einen Kollegen im Betrieb, der uns auch schon vor dem Mord immer geholfen und unterstützt hat. Der hatte eine Firma gegründet – eine Leichenhalle. Der hat uns dann geholfen, den Körper von unserem toten Freund aus dem Krankenhaus zu holen. Wir brauchten Zeit, um die finanziellen Mittel zu haben, um den Toten nach Angola transportieren zu können. Er hat den Toten in seiner Firma aufbewahrt, bis wir alles erledigt hatten, und wollte keine Miete haben. Er hat uns wirklich unterstützt. Dann gab es Leute von der Kirche. Mein Freund Moses, der jetzt in Berlin wohnt, ging in die Kirche. Dadurch gab es dort Leute, die für uns da waren. Allerdings haben sie für uns im Moment des Mordes nicht viel getan. Sie sagten immer, dass die versuchen würden, Verstecke für uns zu finden. Aber sonst... Naja. Und ein paar Jugendliche gab es auch noch. Die anderen hatten Angst. Wenn die anderen sahen, dass jemand Kontakt mit den „Negern“ hatte, dann gab es Probleme. Ein paar kamen trotzdem zu uns und haben mit uns geredet, auch wenn die Angst immer da war. Es waren wirklich nicht viele, weil die Leute selbst Angst hatten.
Interviewerin: Was hast du gedacht, als das Heim der Vertragsarbeiter in Hoyerswerder angegriffen wurde?
Jone Munjunga: Ich oder Kollegen von mir sind nicht hingefahren, weil zu dieser Zeit der Prozess von Amadeu Antonio war. Wir waren zu dieser Zeit auch nicht mehr im Wohnheim. Es gab da wieder so einen behördlichen Trick, sodass wir das Wohnheim verlassen mussten. Wir bekamen das durch die Unterstützung aus dem Westen mit. Wir trafen uns ja immer im Wohnheim. Die haben uns dann aber gesagt, dass das Wohnheim geschlossen wird und wir zusehen müssen, wo wir unterkommen. Im Februar oder März mussten wir aus dem Heim raus. Die haben uns erst gesagt, dass wir im Wohnheim bleiben können, und dass das unser Zuhause ist. Kurz nach Amadeus Tod und nachdem wir die Unterstützung aus Berlin hatten, sagten sie uns, dass wir das Wohnheim verlassen müssten. Wir haben gefragt: Warum? Sie sagten, dass wir in Deutschland bleiben können. Ich hatte eine Bestätigung von der Botschaft, dass sie einverstanden sind, wenn ich bleiben will. Die Betriebe wollten uns ja auch haben. Es war also alles offiziell, auch mit der Wohnung im Wohnheim. Nun sollten wir das aber verlassen und wussten nicht wohin. Wir hatten ja keine Familie hier. Den Leuten von der Behörde, die das angewiesen haben, war das egal. Die meinten, dass wir ja nach Hause fahren könnten. Ich habe denen gesagt, dass ich kein Geld habe, um nach Hause zu fahren. Ich meinte: „Wie soll ich denn nach Hause fahren, wenn ich kein Geld und nichts habe?“ Die meinten, dass ich dann eben zu meiner Botschaft gehen solle. Die meinten, dass ich selbst dafür verantwortlich bin, da ich ja unterschrieben habe, und ihnen wäre das egal. Wir wussten nicht weiter, konnten nur abwarten, was kommt, und unser Leben schützen. Ob es nun besser oder schlechter ging – Hilfe hatten wir keine. Auch wenn wir zur Polizei gingen, fragten die nur, warum wir nicht nach Hause fuhren. Ich denke, dass sie wegen unserer Unterstützung aus Berlin gesagt haben, dass wir das Heim verlassen müssten. Die Leute aus Berlin hatten ja keine Angst vor denen, was für uns total gut war. Die Unterstützer aus Berlin haben Krawall gemacht, und wir fanden das gut. Der Eberswalder Bevölkerung hat das nicht gefallen, sie fanden das schrecklich und wollten nichts mehr wissen. Auch die Polizei wollte nichts mehr sehen. Wir hatten Freundinnen und Bekannte, bei denen wir dann unterkamen, aber es gab keine Ruhe. Wir haben auch aus anderen Städten gehört, dass es Probleme für uns Angolaner gab. Man konnte sich aber auch nicht in den Zug setzen, um andere Leute zu unterstützen. Da war man selbst in Gefahr, und das habe ich nicht getan. Ich habe Angst gehabt, irgendwo hinzufahren. Ich bin auch nicht spazieren gegangen, ich war mehr zu Hause. Meine Freundin hat alles erledigt, ist einkaufen gegangen. Ich war lieber zu Hause, weil ich viel Angst hatte. Und wir sind nicht alle in Eberswalde geblieben. Ein paar sind gleich nach Berlin gegangen. Die „Antirassistische Initiative“ organisierte Zimmer in Berlin. Als das in Hoyerswerder passierte, dachte ich, dass die sich dort jetzt genauso fühlen, wie wir hier. Vielleicht kann man das nicht vergleichen, da sie von uns einen Kollegen getötet haben. Aber ich dachte, dass die anderen das auch nicht schön haben und mit der gleichen Angst wie wir leben.
Interviewerin: Kannst du dich erinnern, was du für dich für eine Perspektive hattest, als Hoyerswerder passierte?
Jone Munjunga: Es gab keine Perspektive, und ich habe nicht an die Zukunft gedacht. Nach dem Tod von Amadeu Antonio habe ich gewusst, dass ich hier keine Zukunft habe. Ich hatte meinen Pass, den ich früher nicht hatte. Eine Arbeit hatte ich nicht mehr und auch kein Geld. Ich konnte also auch nicht nach Angola gehen. Ich habe nicht an die Zukunft gedacht und hatte keine Perspektive.
Interviewerin: Hat sich denn in Eberswalde nach den Pogromen in Hoyerswerder oder Rostock-Lichtenhagen was geändert?
Jone Munjunga: Als das in Rostock bei dem Wohnheim passierte, wo auch vietnamesische Kollegen waren, war ich in Stuttgart. Ich hatte zunächst geheiratet und war in Eberswalde geblieben, weil ich mich für die anderen Angolaner, die geblieben waren, verantwortlich fühlte. Ich hatte den Kontakt zu der Gruppe in Berlin und habe die empfangen. Ich habe mich um Wohnungen gekümmert. Frau Böttger, die heute Ausländerbeauftragte ist, kam auch zu uns, um uns zu unterstützen. Die Leute haben gesehen, dass ich quasi der Kopf bin und sehr bekannt war in Eberswalde und wussten, wo ich wohnte. Sie sagten mir nach einer Weile, dass ich weg muss, dass ich in Gefahr bin. Es kamen auch Bekannte aus Eberswalde zu mir oder meiner Frau und meinten, dass ich aufpassen muss und in Gefahr bin. Die sagten: „ Die und die wissen wer du bist, und dass du verantwortlich bist für die Leute und den Kontakt nach Berlin hast.“ Einmal haben wir uns einen ganzen Tag in einer Kirche versteckt, sodass wir uns treffen konnten, und die Leute aus Berlin haben uns dorthin gebracht. Nach einer Weile habe ich dann entschieden, dass ich besser weggehe. Ich musste um 0 Uhr Eberswalde verlassen, mit Hilfe der „Antirassistischen Initiative“. Ich habe in Kreuzberg übernachtet. Am nächsten Tag bin ich von meinen Kollegen aus Moosbach bei Stuttgart abgeholt worden. Der hatte gehört, dass ich Angolaner bin, und kam, um uns zu unterstützen. Der hat dann gesagt, dass ich weg muss. Meine Frau ist in Eberswalde geblieben. Nicht in unserer Wohnung. Sie musste sich auch bei Bekannten verstecken und abwarten, dass sich die Situation beruhigt hatte. Ich habe Rostock-Lichtenhagen also nur im Radio und Fernsehen verfolgt, da ich schon aus Eberswalde und aus dem Osten weg war.
Interviewerin: War das eine Erleichterung für dich?
Jone Munjunga: Ja. Ich habe gleich bei einem Italiener im Betrieb angefangen zu arbeiten. Der war der Chef und hatte von den Problemen im Osten gehört. Der hat mir die Arbeit gegeben. Ich bekam auch gleich ein Zimmer. Das war insgesamt wirklich gut. Ich konnte meine Frau finanziell unterstützen. Wir sind auch mal zu fünft im Auto nach Eberswalde gefahren. Die wussten, dass ich nicht alleine fahren kann, also sind sie mitgekommen. Wir waren drei oder vier Tage dort. Ich wollte meine Frau mitnehmen. Aber sie wollte nicht. Sie hat gesagt, dass im Westen nur Ausländer sind und wenn die sehen, dass sie eine deutsche Frau aus dem Osten ist, dann bringen sie mich um, weil sie denken, dass sie ein Nazi ist. Ich habe ihr gesagt, dass sie dann bleiben soll, wenn sie so denkt. Ich bin lieber dort und arbeite dort.
Interviewerin: Hast du dort nie Probleme mit Rassismus gehabt?
Jone Munjunga: Nein. Nie. Es gab dort in der Gegend auch GIs, und in die Disko zu gehen oder so, war immer möglich. Es gab keine Probleme. Ich bin dann auch von Moosbach weg, um mehr Geld zu verdienen. Ich bin nach Würzburg bei Rotadorf gegangen, um in einer Fleischerei zu arbeiten. Dort gab es auch viele GIs, und man bekam immer Respekt. Egal wo man hin kam, man hat überall Schwarze gesehen. Vielleicht dachten sie auch, dass ich GI war. Vor meinem Weggang in Eberswalde habe ich mich bei Freunden versteckt und nicht mehr bei meiner Frau gewohnt. Ich bin manchmal auch alleine auf die Strasse gegangen, aber sobald ich jemanden sah, lief ich woanders lang.
Interviewerin: Wann bist du wieder zurück nach Eberswalde?
Jone Munjunga: Als die Situation etwas besser war. Die Jugendlichen waren nicht mehr so konzentriert auf Eberswalde, sondern haben auch woanders Sachen gemacht. Die Skinheads haben sich nicht mehr so in Eberswalde konzentriert, da sie Angst vor unserer Unterstützung hatten. Für uns war es dann leichter: Wir Schwarzen konnten uns dann auch treffen. Es gab noch Kleinigkeiten, wie die Beschimpfungen. Meine Frau wollte in Eberswalde bleiben, obwohl wir überall in Deutschland hätten leben können. Ich bin dann also zurück, und wir haben den Verein gegründet. Ich war aber nicht der erste Vorsitzende, das war ein zu großes Risiko. Aber wir hatten endlich unseren Treffpunkt gefunden.
Interviewerin: Hattest du Angst, zurückzukommen?
Jone Munjunga: Ja. Die Angst war immer da. Aber die Situation war nicht mehr so schlimm. Es waren auch türkische Kollegen gekommen und haben Imbisse aufgemacht. Die vietnamesischen Kollegen hatten noch nicht angefangen. Die Imbisse sind fast jeden Tag kaputt gegangen. Da hat man gesehen, dass die Skinheads immer noch in der Stadt aktiv waren, und die Angst war noch da. Aber was sollte man denn machen? Man musste raus gehen. Wir hatten noch Kraft zu der Zeit, weil wir wussten: Sobald was passiert, kommt die Unterstützung aus Berlin. Damit konnte auch politischer Druck in der Stadt aufgebaut werden, und wir haben dann auch den Raum bekommen. Mit dem Treffpunkt war es leichter für uns. Es kamen alle, außer die Vietnamesen. Schön war auch, dass es eine Gruppe Linker gab, die sich gegründet hatte – Punker. Die waren dann unsere Unterstützung. Es gab jeden Tag Probleme mit den Skinheads, und die Punks haben sich mit denen geschlagen, wie vorher die Unterstützer aus Berlin.
Interviewerin: Was würdest du heute anders machen?
Jone Munjunga: Die Politiker haben nicht genug gemacht und haben die Nazis noch bestärkt. Sie haben sich nicht für die Opfer interessiert. Im Jahr 2000 hat sich viel verändert und verbessert, und dann gab es die Unterstützung Seitens der Politiker. Damit ist der Rassismus etwas zurückgegangen. Aber der Rassismus in Deutschland hat eine Tradition, und es wird lange dauern, bis das vorbei ist. Für die neue Generation, die jetzt kommt, wird zu wenig gemacht. Es gibt kein Geld mehr für die Vereinsarbeit, Bildungs-, Jugend- und Kulturarbeit. Der Rassismus wird wieder stärker. Es ist aber nicht vergleichbar mit der Zeit nach dem Mauerfall. Was ich da erlebt habe, ist nicht zu vergleichen. Ein Fehler in der DDR war, dass die Leute nicht gewusst haben, wer wir Afrikaner sind. Mit dem Verein „Palanca“ haben wir dann auch Bildungsarbeit gemacht. Damit ist Eberswalde etwas ruhiger geworden, zumindest ruhiger als Schwedt oder Angermünde.
Interviewerin: Was denkst, hätte den Mord an Amadeu Antonio verhindert?
Jone Munjunga: Erstens: Wenn die Polizei ihre Arbeit gemacht hätte, würde Amadeu Antonio noch leben. Die Polizei wusste, was da kommt. Sie ist ja auch vorher schon mal ins Wohnheim gekommen, hat mit den Betreuern gesprochen und Bescheid gegeben, dass wir nicht rausgehen sollen. An diesem Tag hat uns niemand was gesagt, und uns hat niemand geschützt. Wenn sie uns Bescheid gegeben hätten, dass wir im Wohnheim bleiben sollen, wären wir vielleicht dort gestorben. Aber es hätte nicht so eine Jagd gegeben. Zweitens: Die Polizei hat gewusst, was die Skinheads vorhaben, und sie war dennoch woanders und hat den Skinheads freie Hand gelassen, statt Amadeu Antonio und uns zu schützen.
Interviewerin: Vielen Dank!