Interview mit Ibrahimo Alberto
Interviewerinnen: Als du von Hoyerswerda damals gehört hast, was ging dir da durch den Kopf?
Ibrahimo Alberto: Angst habe ich bekommen. Ich habe mitgekriegt, was los ist, aber mir war nicht klar, dass ich so etwas auch erleben würde. Ich habe das einfach auf die leichte Schulter genommen. Ich habe immer gesagt: „Mich kann vielleicht jemand töten, aber vorher nehme ich zwei, drei mit!“ Ich war vielleicht auch noch viel zu jung. Ich war auf meine Sportkarriere als Boxer fixiert und habe die Situation einfach unterschätzt.
Interviewerinnen: Und hast du auch in anderen Städten etwas davon mitbekommen?
Ibrahimo Alberto: Klar, von überall dort wo Mosambikaner waren: in Dessau, in Leipzig, in Dresden, in Eisleben habe ich Sachen mitbekommen. Alle, die da leben mussten und auch die, die schon vorher entschieden hatten hier zu bleiben, haben davon mitbekommen. Später sind sie alle umgezogen, weil die mosambiquanische Botschaft in Berlin sie alle nach Berlin geholt hat. Die meisten, fast alle sind auch weggegangen. Nach dem Jahr 2000,2001 war es dann ruhig, dann sind welche wieder zurück, da einige verheiratet waren oder Familie hatten. Einige sind zurückgegangen, aber die meisten sind doch nach Berlin. Deswegen leben mittlerweile viele Mosambiquaner in Berlin, ich glaube schon 700 oder 800.
Interviewerinnen: Und als du dann in Schwedt warst, hast du da irgendwas mitbekommen an rassistischen Pogromen oder Übergriffen?
Ibrahimo Alberto: Oh ja. Ich kam am 15.Oktober 1990 nach Schwedt. Ich habe das selber des öfteren gesehen. Es gab noch einige kubanische Vertragsarbeiter und auch Asiaten, die waren noch nicht alle weg. Die Nazis stellten ihnen nach, um sie zu verjagen.
Interviewerinnen: Würdest du sie als Nazis bezeichnen?
Ibrahimo Alberto: Die Glatzköpfe mit den Bomberjacken und Springerstiefeln konnte man äußerlich schwer von den Punkern unterscheiden. Aber die Punker waren ganz andere Typen. Es waren die Rechten, die immer mit „Heil Hitler“ gegrüßt haben und all so etwas.
Ich kannte viele davon, weil die beim Boxverein UBV trainierten, um auf der Straße irgendwelche Menschen schikanieren zu können. Mein Trainer hatte erkannt, dass das die waren, die immer Ärger machten auf der Straße. Deswegen hat er absichtlich mich sie trainieren lassen: „Ibrahimo, heute bekommst du Neue, heute trainierst du die. Frag nicht warum, mach einfach mal Training mit denen und bringe ihnen bei wie man kämpfen kann.“, hat er gesagt. Dann ist mir klar geworden, dass das Nazis waren. Die wollten einfach nur trainiert werden, Grundkenntnisse haben, um auf der Straße Menschen zu schlagen. Aber für mich war das ein Vorteil, denn wenn die mich auf der Straße gesehen haben, kannte ich die und dann haben sie gesagt: „Nein, nein, den nicht, der ist einer von uns, wir kennen ihn.“ Die Nazis damals kamen hauptsächlich aus Barnim. Ab 2000 kam mehr Unterstützung aus Mecklenburg, aber vorher waren die meisten immer aus Barnim. Die Schwedter haben mit denen zusammengearbeitet. Einige kamen auch aus Berlin. Manchmal war ich ein Fremder für die Barnimer, und die sagten: „Das ist ein Schwarzer, ein Neger, den können wir...“ , und darauf reagierten die Schwedter mit: „Nein, nein den kennen wir sehr gut.“
Ich erinnere mich an einen konkreten Vorfall eines Bekannten. Auf dem Weg zu seiner Freundin wurde von vier Personen angehalten und provoziert: Die haben zu ihm gesagt: „Hey du, wo gehst du hin? Wir suchen gerade so Leute wie dich“. Dann haben sie ihn hin- und hergeschubst. Er wollte sich zwar wehren, war aber in der Unterzahl. Sie haben ihn festgehalten und zu Boden geschlagen, aber so richtig, und haben ihn da einfach liegengelassen. Die haben gedacht: „Ach, den haben wir geschlagen, dass er bewusstlos war.“ Eine ältere Frau kaum auf ihrem Fahrrad vorbei, die hat ihn dort liegen gesehen und gleich die Polizei gerufen. Er war so schwer verletzt, dass er auf die Intensivstation kam. Er hatte seinen Ausweis dabei, den die Nazis ihm zum Glück nicht abgenommen haben. So wurde das Wohnheim informiert, die mit der Situation überfordert waren und mir Bescheid gaben. Ich hatte schon Feierabend, es war so gegen 23 Uhr. Ich bin dann auf die Intensivstation gegangen. Als ich dort ankam, konnte er noch nicht sprechen. Da haben sie nach zwei Stunden gesagt: „Herr Alberto, Sie können nach Hause gehen und morgen früh können wir vielleicht mit ihm ein paar Worte wechseln. Aber solange er an die Atemgeräte angeschlossen ist, ist es schwer, aber wir versuchen es früh noch einmal, vielleicht kann er erkennen, welche Leute das waren.“ Den nächsten Tag bin ich wieder hin, aber er konnte immer noch nicht sprechen. Zwei Tage später konnte er erzählen, was geschehen war: „Ja, das waren vier Personen und die haben keine Haare und große Stiefel gehabt und haben mich getreten.“, sagte er. Sein Körper wie der aussah, das war schrecklich. Ja, und dann kam er wieder ins Wohnheim, war aber weiter in Behandlung. Nach dem Überfall hat er Anfälle bekommen, ist Epileptiker geworden. Er hat ganz schön leiden müssen durch das Ganze.
Interviewerinnen: Gab es da jemals eine Anzeige?
Ibrahimo Alberto: Eine Anzeige gab es, aber wie es vor Gericht ausgegangen ist, weiß ich nicht mehr.
Interviewerinnen: Also du hast gesagt sie haben ihn zurückgeschickt ins Wohnheim, aber dann hat er einen anderen Wohnheimplatz in Berlin gekriegt und ist nicht mehr in Schwedt geblieben? Oder ist er dann aus dem Krankenhaus raus und wieder nach Schwedt?
Ibrahimo Alberto: Nein, dann haben sie ihn nach Berlin geschickt, und in Berlin ist er nicht ins Wohnheim gekommen, sondern in eine richtige Wohnung gemeinsam mit seiner Freundin. Heiraten konnte er nicht, weil die Papiere nicht ok waren. Er brauchte eine Geburtsurkunde, um heiraten zu dürfen, und die hatte er nicht als Flüchtling. Er ist aus zwar aus Angola geflüchtet, ist aber auch halber Kongolese. Er ist vor dem Krieg in Angola geflüchtet und hatte als Angolaner mehr Chancen auf ein Asylverfahren. Nach diesem Überfall hat er dann gute Chancen im Verfahren gehabt, wegen seiner Krankheit und weil er eine Freundin hatte, nur heiraten durfte sie nicht. Sie haben dann eine Wohnung in Berlin-Buch in der Nähe vom Krankenhaus besorgt, damit er dort weiter behandelt werden konnte.
Interviewerinnen: Gab es auf das Flüchtlingsheim auch Angriffe?
Ibrahimo Alberto: Direkt auf das Heim nicht. Die Übergriffe fanden in meiner Erinnerung nur unterwegs statt. Es gab einmal die Vermutung, dass ein Angriff auf das Heim in Schwedt bevorstehen könnte. Im ehemaligen Armeeknast in der Breiten Allee war das erste Wohnheim. Jetzt werden da neue Wohnhäuser gebaut. Damals, im Februar 1991, habe ich mit dabei geholfen, dieses Heim vorzubereiten, und Ende Februar kamen die ersten Asylbewerber. Die haben wir betreut bis Anfang 1992. Und in dieser Zeit wurde das Heim fast angegriffen, da hieß es: „Da kommen die Rechten!“, aber da war schon das Haus leer. Denn wegen der schnell steigenden Zahl der Asylbewerber wurde das erste Heim zu klein und zum Obdachlosenheim in der Wilhelm-Pieck-Straße (heute Luxemburgstraße) verlegt. Andere waren in eine von diesen Armeeobjekten in der Breiten Allee, beim PCK dahinten verlegt worden. Als die Nazis also kamen, war die Krumbachstraße, also das erste Heim, schon leer, es war kein Mensch mehr da.
Interviewerinnen: Aber sie wollten angreifen?
Ibrahimo Alberto: Ja, angreifen wollten sie, das war Anfang 1992, etwa im Februar. Im April ist es dann definitiv zugemacht worden.
Interviewerinnen: Und dann kamen sie von da in die beiden anderen Heime, oder von da nach Crussow?
Ibrahimo Alberto: Von den anderen beiden Heimen kamen die Flüchtlinge dann nach Crussow. Das Heim in der Breiten Allee haben sie Ende 1994 zugemacht, weil die Landkreise zusammengelegt wurden. Die Stadt Schwedt war nicht bereit, zusätzliche Tätigkeiten für die Stadtverwaltung zu machen und da haben sie die Sache mit den Asylbewerbern aufgegeben. Die wurden nach Prenzlau verteilt, in ein Heim, das einem Privatunternehmer gehörte. Die konnten dann immer Anfang des Jahres das Geld an den Privatunternehmer überweisen, und der konnte dann wirtschaften, wie er wollte. Der wollte Geschäft machen. Dann gab es das Heim in Crussow, das war eine Krankenhaus-GmbH, das wurde aber dann 1998 auch von dem Privatunternehmer aus Prenzlau übernommen. Das war auch die Zeit, wo ich die Chance bekommen habe, die Ausbildung zum Sozialarbeiter zu machen. Die Sozialarbeiterin nämlich, die im Heim war, hat eigentlich nur gemeinnützig als Dolmetscherin gearbeitet.
Interviewerinnen: Gab es noch mehr Überfälle?
Ibrahimo Alberto: Ja, gab es. Also konkret gab es immer Kleinigkeiten und Warnungen, dass sie die Ausländer überfallen. Und die Ausländer mit bestimmten Merkmalen wie andere Hautfarbe und so sind dann immer zu viert, zu fünft, zu sechst gelaufen. Aber wenn einer einen Fehler gemacht hat, der wurde richtig zusammen geschlagen. Da kann ich mich erinnern noch, dass 2005 einer aus dem Asylbewerberheim in Crussow nach Schwedt gekommen ist und er einfach zur Disko gegangen ist. Er zusammen mit seinem Bruder, zwei Schwarze, und die wollten da, wo das Arzthaus ist in der Nähe, in die Disko. Da haben sie den einen Schwarzen – es waren zwei, aber den einen haben sie richtig verprügelt, sodass er auch Verletzungen erlitten hat. Er lebt auch nicht mehr so gesund, ich weiß nicht, ob er jetzt weg ist oder noch da. Aber er hat noch weiter in Prenzlau gelebt, aber immer hin und her, durch seine Krankheit musste er in Berlin behandelt werden. Ich weiß nicht, ob er noch in Deutschland ist. Ich habe ihn später noch einmal angerufen, da war er noch da, aber er hat gesagt es kann sein, dass er zurück nach Hause muss. Aber in seinem Heimatland erhält er keine Behandlung, vielleicht bleibt er noch hier, das ist noch nicht entschieden. Seitdem habe ich ihn nicht mehr angerufen.
Interviewerinnen: Wie haben die anderen Leute, die auch in Schwedt gelebt haben und das mitbekommen haben, reagiert, wenn solche Überfälle waren?
Ibrahimo Alberto: Zivilcourage ist schwer, also gab es fast keine. Das Gefühl oder die Überzeugung, helfen zu wollen, ist da, man spricht darüber und alles, aber wenn was passiert, in dem Moment ist oft keiner da. Genau solche Sachen sind mir öfter passiert. Das kann man sich nicht vorstellen, aber es ist wahr. Wenn ich mal unterwegs war, konnte ich nicht immer jemanden fragen: „Bitte begleite mich.“ Und wenn du dann doch in Begleitung läufst, rechnest du in dem Moment nicht damit, überfallen zu werden, und dann passiert es doch. Die lauern immer, die wissen, wir sind auch nicht zu verstecken. Leider Gottes oder Guten Gottes, wir sind von weiter weg zu sehen: „Da kommt einer, der hat eine schwarze Hautfarbe.“
Interviewerinnen: Aber haben die sich in dem Moment nicht getraut? Oder haben sie im Nachhinein was gesagt, weil sie selber Angst hatten? Oder wurde das tot geschwiegen?
Ibrahimo Alberto: Naja, es wurde schon geschwiegen und nicht darüber gesprochen. Oder sie haben gesagt, dass sie nichts gesehen haben. Damals wusste ich, dass es so ist, weil die Flüchtlinge mir viel erzählt haben. Ich war ja Sozialarbeiter und Betreuer und Dolmetscher und alles, und sie haben mir Geheimnisse, Sachen erzählen können, auch weil ich einer von denen bin.
Interviewerinnen: Also hattest du engen Kontakt zu den Asylbewerbern?
Ibrahimo Alberto: Ja genau. Obwohl ich mit dem Asylstatus nichts zu tun hatte, aber von der Hautfarbe her, die Leute sehen, das ist einer mit Migrationshintergrund wegen seiner Haut, von A-Z ist der komplett Ausländer. Es ist so, man zweifelt das kaum an. Manche sagen: „Ok, der spricht deutsch und lebt schon ewig hier, aber ansonsten... Nach seiner Hautfarbe ist er ein Fremder.“ Und daher war die Gefahr für mich immer zu merken, es war nicht so einfach, frei herum zu laufen, das war zu gefährlich.
Interviewerinnen: Gab es Anzeigen bei der Polizei?
Ibrahimo Alberto: Ja, es ist fast alles angezeigt worden.
Interviewerinnen: Was hattet ihr für ein Gefühl, wie die Polizei damit umgeht?
Ibrahimo Alberto: Die Polizei in Schwedt tendierte dazu, zu schweigen, das sage ich ganz klar. Die reden nicht so viel, weil die selber Angst haben.
Interviewerinnen: Das bedeutet also, dass sie auch nicht hinterher waren, sondern das nur abgeheftet haben?
Ibrahimo Alberto: Ja, meistens. Zumindest kann ich das von meinen Anzeigen sagen.
Interviewerinnen: Und wie war das mit dem Bürgermeister und anderen Politikern, haben die irgendwie drauf reagiert?
Ibrahimo Alberto: Ja, die haben reagiert, aber nicht überzeugend. Zum Beispiel haben sie nicht soviel kooperieren können, um die Betroffenen zu betreuen. Sie haben auch öffentliche Aktionen gemacht, um zu zeigen: „Wir dulden das nicht hier.“ Das ist aber nicht wirklich echt. Da gab es noch das Bürgerbündnis, das von dem ehemaligen Pfarrer, Pfarrer Harney, die haben so eine Telefonkette gebildet, dass, wenn irgendwo was passiert ist, man sich telefonisch verständigen konnte, um dann weiterzuhelfen. Dann haben sie auch manchmal geholfen.
Interviewerinnen: Aber das waren dann auch Bürger, die gesagt haben: „Wir machen das.“
Ibrahimo Alberto: Ja, die machten das freiwillig. Und bis jetzt sind diese Bürge die einzigen, die versuchen, in der Stadt etwas zu bewegen. Als ich noch als Ausländer und Ausländerbeauftragter in Schwedt war, konnte ich mit denen reden, da haben sie dann auch etwas gemacht.
Interviewerinnen: Die Initiative kam also von dir?
Ibrahimo Alberto: Ja, ich habe versucht, sie mehrmals reinzuziehen in das Bürgerbündnis, aber sie hatten immer keine Zeit. Es waren auch vor allem ältere Leute, 60,70, 80 Jahre alt.
Interviewerinnen: Und es sind keine Jungen nachgekommen?
Ibrahimo Alberto: Kaum. Ich war der Jüngste bei den Bürgern. (Lachen) Ich war der Jüngste da, und immer, wenn ich dann abends nach Hause bin, habe ich regelmäßige rassistische Übergriffe, verbal bis körperlich, erleben müsse. Die Nazis haben schon gesagt, „Warum gehst du nicht weg, du bist immer noch hier. Das ist eine Seltenheit, schau dich um in Schwedt. wer ist noch hier als Neger, hau ab“, haben sie gesagt, „sonst passiert was schlimmes mit dir.“ Ich habe immer gesagt: „Ja, versucht mich doch zu schlagen, zeig mal, was du kannst.“ Dann fingen sie an zu schlagen. Und einmal habe ich auch zurückgeschlagen, aber wenn ich zurückgeschlagen habe, war der auch k.o., und dann konnte ich weggehen. Aber manchmal bin ich nicht nach Hause gegangen, sondern zur Polizei. Die Polizei hat manchmal eine Anzeige aufgenommen, manchmal haben sie sich lustig über mich gemacht.
Interviewerinnen: Die Polizei hat das also nicht immer ernst genommen.
Ibrahimo Alberto: Nein, die haben das nicht ernst genommen. Ich habe ihnen gesagt, dass ich eine Anzeige machen will. Dann haben die Beamten zwar eine aufgenommen, aber ich wußte genau, dass es nicht weiterverfolgt wird. Und es ist bei keiner Anzeige etwas rausgekommen. Und wenn ich nachgefragt habe, sagten sie: „Ja, das haben wir weitervermittelt an die Staatsanwaltschaft, das dauert noch. Die Staatsanwaltschaft braucht drei Monate, sechs Monate, das wissen wir nicht. Aber warten Sie, das wird schon kommen.“ Bis der nächste Angriff kam, was meistens keinen Monat dauerte. Dann musste ich wieder eine Anzeige machen, und so ging das dann weiter.
Interviewerinnen: Hast du auch weiter mit den Bürgerbündnissen zusammengearbeitet?
Ibrahimo Alberto: Ja ich habe mit den Bürgerbündnissen zusammengearbeitet und damals gab es auch die Jugendgruppe PUKK. Das Bürgerbündnis ist noch da, aber wie gesagt, das sind die älteren Leute, keine motivierten jungen Leute, die auch diese Gesellschaft weiter gestalten müssen oder werden. Die Zukunft liegt bei den engagierten Jungen, und die gibt es aber nicht.
Interviewerinnen: Wie bewertest du dein damaliges Handeln heute?
Ibrahimo Alberto: Nun, die Schwedter waren und sind stur. Entschuldige, ich sage mal – sie haben ein gutes Herz und zeigen das, aber was hilft mir ein gutes Herz? In einer Gewaltsituation hilft eben ein gutes Herz und lächeln nicht. Ich weiß nicht, ob die Polizei jetzt wacher ist und die Übergriffe ernsthafter verfolgen. Damals habe ich immer gezögert, zur Polizei zu gehen, weil die Polizei zum Schluss sowieso nichts getan hat, deswegen haben wir gesagt: „Das hat keinen Sinn. Ich gehe zur Polizei, das bringt nichts.“ Viele Male mussten andere mich zwingen, zur Polizei zu gehen, weil das so oder so nichts gebracht hat. Sie haben mich immer lächerlich gemacht: „Wenn sie dich geschlagen haben, müssten wir sehen können, wo sie dich geschlagen haben, das können wir aber nicht.“ und solche Worte. Obwohl ich aufgeregt oder nervös war, haben sie mich nicht ernst genommen. Und ich weiß jetzt auch, dass mit Gewalt gegen Gewalt zu antworten keine Lösung ist. Vielleicht hätte ich früher, bevor ich zum Boxen gegangen bin, vielleicht hätte ich das so gemacht, aber nachdem ich zwei, drei Jahre beim Boxen war, habe ich überlegt, dass auf der Straße zu kämpfen, zu boxen keinen Sinn hat, nichts bringt. Es ist besser, wenn man Probleme miteinander hat, darüber zu sprechen.
Interviewerinnen: Boxen also nur als Notlösung?
Ibrahimo Alberto: Ja, nur um mich zu verteidigen. Was bringt mir das, ich weiß ganz genau, der kann gar nicht, ich schlage ihn nieder, was habe ich davon, das bringt doch nichts. Wenn es im Ring ist, dann ist es was anderes. Das ist sportlich, da habe ich gewonnen, das wird in mein Buch eingetragen und das ist gut. Das ist ganz was anderes.
Interviewerinnen: Ich habe noch eine Frage zu dem Angolaner und dem Mann aus Sierra Leone, die angegriffen wurden – kanntest du noch mehr von Gewalt Betroffene?
Ibrahimo Alberto: Ich kannte die beiden und dann die Asiaten, aber die Namen weiß ich kaum noch, einer hieß De Lieh, und dann Puong. Die sind auch weggegangen, nachdem sie schwer verletzt wurden und auf der Intensivstation waren. Nach zwei,drei Wochen wurden sie dann nach Berlin gebracht.
Interviewerinnen: Wenn du von so vielen Angriffen mitbekommen hast – wie war das für dich in der Zeit? Was war das für ein Gefühl, über die Straße zu gehen?
Ibrahimo Alberto: Für mich war das ein Spannungsgefühl. So ein provozierender Moment, ich war immer bereit. Ich bin hier und alle beobachten mich. Aber ich kannte auch alle und gerade von den rechten Schwedtern, die konnten mich nicht angreifen. Deswegen habe ich ja auch erst zum Schluss viel Gewalt erleben müssen, aber eben nicht von den Schwedtern. Ich wurde angegriffen, aber die zwei, drei Autos waren nicht aus Schwedt, die Kennzeichen waren Barnim oder Mecklenburg, das war genau zu erkennen. Manchmal habe ich sogar alles aufgeschrieben und der Polizei gegeben: „Ja wir verfolgen das.“ Nie ist was passiert.
Interviewerinnen: Hast du einen Unterschied gemerkt zwischen der Zeit vor der Wende und danach?
Ibrahimo Alberto: Ja, ganz eindeutig, ganz klar. Zu DDR-Zeiten war es etwas sicher, nicht zu sicher, aber zwischen 1981 und 1985 sehr sicher. Erst ab Mitte 1985 wurde es unsicher. Es gab einen ersten Mord an einem Mosambiquaner. Das war mein allerbester Freund, der entschieden hat, dass wir nach Deutschland gehen. Ich habe nicht allein entschieden, dass ich nach Deutschland komme. Leider wurden wir getrennt untergebracht. Wir waren im gleichen Flugzeug, aber als wir in Schönefeld ankamen, haben sie uns in Gruppen geteilt. Er kam nach Dessau, ich blieb in Berlin. Wir haben uns gegenseitig besucht, und dann, am 17. Juli 1985, auf dem Heimweg nach einem Besuch bei mir, haben sie ihn im Zug angegriffen und totgeschlagen. Als er tot war, haben sie ihn durch das Fenster auf die Bahnschienen geworfen, dann wurde er vom Zug überrollt. Man fand seinen Ausweis, und ein paar Tage später bekam ich Nachricht, dass er vermisst wurde. Er hieß Tom, Joao Manuel Antonio, und das Heim suchte nach ihm. Ich wurde befragt und sagte, dass ich ihn nach Berlin zum Bahnhof Lichtenberg gebracht hatte. Dann ist er in den Zug eingestiegen und nicht angekommen. Dienstag Früh haben sie dann festgestellt, dass sie den Toten gefunden haben durch den Ausweis. Dann haben sie mir das mitgeteilt. Dann kam auch die Polizei, und dann haben sie uns alle zusammengerufen und haben gesagt, dass wir vorsichtiger sein sollten, dass wir nicht mehr allein rumlaufen sollen. Weil die Jungen mit Stiefel, Jeans und kurze Haare gefährlich sind.
Interviewerinnen: Also war es auch schon vor der Wende gefährlich?
Ibrahimo Alberto: Ja, deswegen wurden wir ja auch gewarnt. Wenn wir zum Boxkampf und so fuhren, waren wir immer zu zweit oder zu dritt, zu viert sogar manchmal. Oder der Trainer holte uns mit seinem Auto ab. Und da haben wir dann mitgekriegt, dass es Leute gibt, die gegen Ausländer sind, da waren wir sehr vorsichtig. Ja und dann ging es ja schon los. In Leipzig – glaube ich – haben sie einen Mosambiquaner im Wasser erwürgt und einfach liegenlassen, diese Jungen mit den Stiefeln und Glatzköpfen. Die Polizei konnte die Täter nicht ermitteln. Das war Ende 1985, im November oder Dezember, ich kann mich noch erinnern. Ich hatte Hefte, in denen ich das notiert hatte, was wichtig war.
Interviewerinnen: Vielen Dank für deinen ausführlichen Bericht.